Mal Hand aufs Herz: Wann haben Sie das letzte Mal mit Ihren Kindern geschimpft? Vielleicht ist es noch gar nicht so lange her. Und vielleicht haben Sie sich danach ganz furchtbar gefühlt. Eben weil Sie geschimpft haben, obwohl Sie das gar nicht wollten. Weil Sie instinktiv wissen: Ohne wäre besser. Denn wenn wir ehrlich sind — hinterher fühlen sich alle schlecht. Die Kinder sowieso. Und Sie auch.
Was also tun? Erziehung ohne Schimpfen und Schreien, kann das klappen? Der Buchmarkt ist voll von Ratgebern, die genau das thematisieren. Alleine, man fragt sich dann doch, wie das immer gehen soll. Denn, sind wir ehrlich, es gibt diese Situationen, in denen wir dann doch schimpfen. Weil das ganze Sofa voller Farbe ist, obwohl die Anweisung ganz klar lautete, die Filzstifte mögen bitte im Schrank bleiben und wenn, dann nur am Maltisch im Kinderzimmer verwendet werden. Weil das mit Liebe gekochte Essen nur mit heruntergezogenen Mundwinkeln betrachtet wird. Weil immer kurz vor dem Verlassen des Hauses das Chaos ausbricht. Und weil sowieso nie jemand auf die Eltern hört und man das Gefühl hat, alles 1453 Mal sagen zu müssen (und dann immer noch nichts passiert).
Es stellt sich dann tatsächlich die Frage, ob es wirklich Eltern gibt, die niemals nie, auf keinen Fall und ganz sicher nicht mit ihren Kindern schimpfen. Wie machen die das? Die Antwort auf die Frage könnte sein: Man braucht etwas Übung. Und man sollte die Situationen kennen, in denen die Schimpfgefahr ansteigt.
Mütter-Coach Imke Dohmen weist in einem Interview mit dem Erziehungsportal leben & erziehen darauf hin, dass Schimpfen und Schreien zunächst sowieso einmal verschiedene Dinge sind. Denn Schimpfen könne man auch, wenn das Kind an der roten Ampel nicht stehenbleibt. Dann sei ein schärferer Ton sehr wichtig, um klipp und klar zu kommunizieren: Das darfst du nicht machen, das ist gefährlich. Anders sieht es mit dem Schreien aus, das auch eine Machtdemonstration sein kann – und zu schimpfen dürfe kein Macht-Dialog werden, so die Expertin.
Das Zauberwort lautet wie in vielen Fällen auch hier: Auf Augenhöhe kommunizieren. Und auch an das Alter der Kinder denken. Ein Kleinkind kann vieles noch gar nicht umreißen und handelt niemals aus böser Absicht – steckt aber mitunter mitten drin in der Autonomiephase, wo es genau darauf ankommt, Eigenständigkeit zu entwickeln – und damit mal gerne das genaue Gegenteil von dem zu machen, was Mama oder Papa sagen und wollen. Teenager-Eltern wiederum werden wieder ganz andere Sorgen haben – aber auch hier hilft es, sich bewusst zu machen: Vieles am Verhalten des Kindes ist dem natürlichen Entwicklungsprozess geschuldet. Und es kann oftmals sehr viel hilfreicher sein, den Kindern und Jugendlichen liebevoll zu begegnen und ihnen damit zu signalisieren: Ich nehme dich ernst und ich bin für dich da.
Was aber tun, wenn wirklich einmal die Sicherungen durchbrennen und man kurz vorm Explodieren ist? Unser Tipp: Genau diese Situationen lassen sich in vielen Fällen dadurch entschärfen, dass man sich klar macht, wann und wie sie entstehen. Oftmals geschehen sie nämlich in Situationen, in denen wir selbst gestresst sind. Weil Zeitdruck da ist oder weil wir uns nicht wertgeschätzt fühlen – siehe das Beispiel mit dem Essen, das verschmäht wird, obwohl soviel Liebe drin steckt und wir dachten, das werde nun besonders honoriert. Mit einem Neugeborenen bekommt man oft den Tipp, das Zimmer zu verlassen, wenn man sich durch das Schreien des Babys so stark gestresst fühlt, dass man merkt, man hat die Situation nicht mehr unter Kontrolle. Das hilft auch bei älteren Kindern. Warten, bis das Stresslevel abgesunken ist, durchatmen, nochmal mit mehr Ruhe auf die Situation blicken.
Erziehen ohne zu schimpfen bedeutet übrigens nicht, den Kindern keine Grenzen zu setzen. Das genaue Gegenteil ist der Fall: Kinder, denen wir liebevoll und wertschätzend begegnen, werden sehr viel davon zurückgeben. Und Kinder, deren eigene Grenzen respektiert werden, werden sich auch darum bemühen, Grenzen einzuhalten. Wie vieles in der Erziehungsarbeit ist auch dieses Thema ein stetes Geben und Nehmen.
5 TIPPS: SO LÄUFT ERZIEHUNG ENTPANNT UND OHNE SCHIMPFEN
Die Situation einordnen: Ist das vielleicht gerade eine Reaktion der Autonomiephase? Oder gibt es einen anderen Zusammenhang, den ich erst verstehen sollte, bevor ich schimpfe?
Klar kommunizieren: Statt „Renn nicht weg!“ sollte es besser heißen: „Bitte bleib hier!“ – gerade das Wort „nicht“ können Kinder oftmals nicht einordnen.
Grenzen wahrnehmen: Auch Kinder wünschen sich, dass ihre Grenzen wahrgenommen und erstgenommen werden. Eltern sollten sich nicht immer in alles einmischen und manches einfach mal hinnehmen.
Stresslevel runterfahren: Die neuralgischen Punkte erkennen, in denen Stress mitunter heftige Emotionen hervorruft. Beispielsweise die typische Situation am Morgen, bevor alle das Haus verlassen und alle mal wieder spät dran sind. Lösung: Lieber 15 Minuten früher aufstehen und damit die hektische Phase entzerren. Kita- und Schulsachen ebenso wie Kleidung schon am Abend herrichten. Ist vielleicht spießig, hilft aber.
Die eigenen Bedürfnisse kennen: Gerade Mütter tendieren dazu, sich und ihre Bedürfnisse immer allem unterzuordnen. Irgendwann kommt dann der Punkt, an dem man nicht mehr kann. Und dann ist der Weg zum Schimpfen und Schreien nicht weit. Eine bessere Selbstfürsorge ist daher essenziell, um entspannt mit schwierigen Situationen umgehen zu können.